20. September 2014

Der erste Tag

Morgen treffe ich mich das erste Mal nach 13 Wochen mit ehemaligen Patienten aus der Klinik. 
Aus diesem Grund kreisen die Gedanken heute um meine Klinikzeit...

Der erste Tag...

Ich sitze mal wieder im Wartezimmer. Dieses Mal bei meinem Psychiater. 
Nach zwei Stunden Wartezeit schaue ich auf mein lautlos gestelltes Handy. 
Ein Anruf in Abwesenheit. 
„Was ist das für eine Nummer? Wer war das? War es was wichtiges?“ 
Die Vorwahl kenne ich nicht. Google sagt „Bad Bramstedt“ 

Mein Herz klopft schneller. Oh mein Gott, es war die Klinik.
Geht es schon bald los? Haben die einen freien Platz? 
Ich bin ganz aufgeregt. Ich schaue noch einmal auf den verpassten Anruf…es ist erst 6 Minuten her. 
Schnell gehe ich aus der Praxis in den Flur und wähle die Nummer. 
Besetzt…wieder besetzt…wieder besetzt…wieder besetzt… 

Ich gehe zurück ins Wartezimmer. Scheint als ob ich noch nicht aufgerufen wurde. 
Ich kann es auf meinem Stuhl nicht aushalten. Ich gehe wieder in den Flur. 
Mein Handy habe ich bereits auf Vibration gestellt. 
Wieder wähle ich die Nummer, besetzt. Wieder und immer wieder. 
Ich versuche es ein letztes Mal. 

Es klingelt, die Leitung ist frei. „Schön Klinik Bad Bramstedt“ 
„Sie hatten mich angerufen?“ Mein Herz hüpft vor Freude, Angst und Aufregung. 
„Ja, wir hatten kurzfristig Kapazitäten frei, aber nun ist der Platz schon vergeben. 
Wir konnten Sie nicht erreichen."

Ich muss schlucken. Der Platz wieder weg, nach sechs Minuten? 
„Ok danke.“ 
Ich gehe zurück ins Wartezimmer. 
Ab jetzt gibt es kein Halten mehr, die Schleusen sind geöffnet. Die Tränen laufen mir über das Gesicht, total unkontrolliert. Ich kann sie nicht mehr unterdrücken.

Ich bin so enttäuscht und traurig. 
Ich treffe mich mit einer Freundin zum Kaffee trinken.
Der Nachmittag vergeht…Das Telefon klingelt an diesem Tag erneut.

„Schön Klinik Bad Bramstedt, sind sie spontan Frau Lüth?“ 
„Ja“ „Können sie morgen früh anreisen?“ 
Puhhh….  
Durch die Stadt geirrt, Zahnpasta und Duschgel gekauft, meinen Schatz, Bente und Mama angerufen und Klamotten gepackt.

Der nächste Tag begann damit, das meine Nacht um 4 Uhr beendet wurde. Warum also lange quälen mit hin und her wälzen? 
Aufgestanden, Kaffee gekocht und noch mal an die Nähmaschine gesetzt. 
Über Facebook und Whatsapp noch ein paar wichtige Menschen von meiner bevorstehenden Abreise informiert, die letzten Telefonate getätigt, Klamotten in den Koffer geworfen…

“Als ob ich meine Klamotten in den Koffer werfe, tz tz tz…sorgfältig zusammengelegt!“ 

Gegen 10 sind wir los gefahren. Die Fahrt über haben wir kaum miteinander gesprochen und ich hatte auch immer die leise Bitte, das er mich nicht fragt ob ich aufgeregt bin oder so. 
Ich glaube dann wäre ich in Tränen ausgebrochen.

Nun ist es fast 19.30 Uhr, ich sitze auf dem Bett und habe meinen ersten Kliniktag hinter mir. Ich bin fix und fertig, verheult und müde.

Meine erste Kontaktaufnahme mit einer Mitpatientin.  
Sie schenkt sich einen Kaffee ein. Es ist der letzte und sie stöhnt, denn eigentlich müsste sie jetzt einen neuen kochen. 
Was mache ich? 
„Lass, ich koche gleich einen neuen."
 „Hast du es nicht weit zum Zimmer?“ 
(Es muss neues Wasser aus dem Zimmer geholt werden) 
„Ich habe eh nichts vor“ antworte ich.  
Ich habe es weiter zu meinem Zimmer aber egal man will ja einen guten Eindruck bei den Patienten machen. 
Im gleichen Moment habe ich gedacht 
„ Das ist wieder typisch für dich“ 
Immer gleich HIER schreien. 
Ich mach das für dich! 
Kein Problem!
Das mache ich doch gerne!

Es ist zwar nur ein blöder Kaffee, aber er steht für so vieles anderes.

In meinem Zimmer halte ich es kaum aus. 
Auf der einen Seite kann ich die Menschen um mich herum kaum ertragen, möchte am liebsten allein sein, aber im Zimmer ist der Druck zu groß. 
Die Wände hindern mich am atmen.
Die Menschen hier sind sehr nett, aber es fällt mir schwer sie an mich heran zu lassen. 

Wieder die bekannten Ängste: 
Wie wirke ich? 
Was wird über mich geredet? 
Was wird über mich gedacht? 
Wenn sich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich mich dann anders verhalten? 
Würde ich die gleichen Dinge sagen? 
Wie wird es nach Ablauf meiner Zeit sein?
Werde ich einige Dinge bereuen? 
Hätte ich etwas besser machen können? 

Ach Hanna, da sind sie wieder, die 100% bei denen du beginnen möchtest. 

Jedem anderen könnte ich mal wieder besten Ratschläge geben: 
„Mensch, du musst doch erst mal ankommen. 
Bist doch gerade erst angereist. 
Das ist völlig normal. 
Das ging jedem hier so. 
Gib dir ein paar Tage Zeit. 
Das läuft sich schon zurecht. 
Bla bla bla…"

Leck mich am Arsch es ist schwer! 
Und das es anderen auch so ging macht es für mich ja nicht erträglicher.

Ich könnte gut mal in den Wald gehen und laut schreien. 
Mit voller Kraft den Druck weg schreien. 
Das Leben spielt da  Draußen und ich sitze hier gefangen in mir selbst und nichts als Traurigkeit.
Diese tiefe, tiefe Traurigkeit, die dich lähmt, dir jeden Schritt wie Blei an den Hacken klebt. Du möchtest einen Fuß vor den anderen setzen um voran zu kommen. 
Um dem Leben wieder entgegen zu gehen, doch dein Fuß ist schwer und es kostet  dich ungemein viel Kraft ihn abzuheben. 

Ich könnte gerade kotzen. 
Warum? 
Warum verdammt? 
Ich habe keine Lust mehr. 
Es ist so anstrengend und ich habe ständig Angst davor Fehler zu machen. 
Ich möchte an mir arbeiten, doch ich habe kaum noch Kraft um mich aufzuraffen. 
Die ganzen Dinge wieder und wieder durchkauen, zu diskutieren, zu besprechen immer und immer wieder. Und wofür? 
Das ich vielleicht wieder in der Lage bin ein Jahr zu arbeiten und dann wieder am Ende meiner Kräfte bin? Ich weiß es nicht. 
Und wenn ich mir diese Zeilen an einem Guten Tag durchlese schüttel ich wahrscheinlich mit dem Kopf und denke 
„Mein Gott, man kann es auch übertreiben!“

Aber jetzt momentan, gerade jetzt empfinde ich so und ich empfinde Wut. 
Ja Wut! Und das empfinde ich wirklich selten, doch so langsam empfinde ich Wut, Hilflosigkeit und tiefe Trauer.

Doch ich bin auch einfach nur unendlich dankbar für diesen Platz.
Die Chance darauf etwas erreichen zu können, auch wenn es vielleicht nur kleine Schritte sind die gegangen werden können. 



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